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Gerhild Steinbuch: Servus Welt, sagt der Mensch

From our Newsletter 2020

COMMON GROUNDS – 4. Manchmal hab ich so eine Wut, dass ich die ganze Zeit nur kotzen könnte

Servus Welt, sagt der Mensch.

Er beugt sich über Karten und wühlt sich da rein. Er betrachtet das Weltgeschehen und gräbt sich drin ordentlich ein. Nein, der gräbt vor allem sich ordentlich ein. Wer nix hört und sieht ist schließlich klar im Vorteil. Schön eingeheimelt im Europapulliflausch. Das war ja einfach. Der Mensch steht in der Mitte, weil wenn man eine Mitte hat, das ist schon was Schönes. Wenn man ziemlich mittel ist, das ist schon –

Ausm Zentrum schaun wir in die Welt, wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt, und was uns nicht gefällt, das wird dann einfach abgeschnitten an den Rändern, einmal ordentlich abgekappt, einmal ordentlich weggetreten, einmal ordentlich weggeräumt, einmal ordentlich wegerzählt, eins zwei drei, wir erinnern uns an keine Namen, weil wir uns auch an keine Gesichter erinnern, und wenn wir uns an Gesichter erinnern, dann bloß verschwommen und aus weiter Ferne, wie so eine ziemlich anstrengende Hintergrundmusik ist das dann, wir fahren in unsrem Fahrstuhl auf und ab, na, zum Glück muss man ja nicht das ganze Leben Fahrstuhl fahren und darf sich auch schöneren Dingen zuwenden, zum Beispiel dem eigenen Spiegelgesicht. Wir erinnern uns an keine Namen. Wir erinnern uns an Täter, immerhin, manchmal erinnern wir uns an Täter, und weil wir darauf ziemlich stolz sind, weil wir auf uns nicht stolz sein können, weil wir darauf jetzt stolz sein müssen, erinnern wir uns an Täter und weil wir gerne stolz sind, ham wir uns gedacht: wir erinnern uns an Täter, mehr nicht, andere Menschen erinnern wir nicht, war da was, egal, wir erinnern uns an keine Gesichter, und an Namen ohnehin nicht, vor allem wenn sie nicht unsre sind, und wenn sie schon nicht unsre sind, dann erinnern wir uns höchstens an Namen, die man in wen reinsagt, damit der sich nicht mehr wehren kann, bis der sich nicht mehr wehrt, bis die sich nicht mehr wehrt. Alexa, wie schreibt man privilegiert? Alexa hält das Maul wie ein richtig richtige Frau. Na, da frag ich doch das Internetz, da hat doch sicher irgendso ein Mann wieder was Schlaues aufgeschrieben. Da hat doch sicher irgendein Ethnopluralist was Lautes gesagt. Da hat doch sicher irgendsoein Mensch was überschrieben, was mich vielleicht eigentlich interessiert hätt. Da hat doch sicher wer was überschrien, fuck! uff!

So, und jetzt atmen wir ein bisschen gegen die Egopanik

Wir zählen bis drei, eins zwei drei, und manchmal zähln wir auch bis fünfzig, aber fünfzig Opfer kann sich schließlich keiner merken der sich nicht mal eines merken kann, der ohnehin nix merkt, und fünfzig Menschen ist auch ziemlich viel, die passen grade so in meine Altbauwohnung wenn ich mich dann selbst auf den Balkon, aber welcher Mensch lebt schon aufm Balkon, frag ich mich, fragen wir uns, na, aber besser als raus in die Welt, die Angst macht, weil Veränderung ja leider immer Angst macht, und weil wer Angst hat grundsätzlich ja nie selbst das Problem ist, nicht wahr, ach, die Angst die ist so groß und schwer, dass ich mich jetzt ja auch noch fürchten muss da postwendend und baldigst durchzubrechen, also noch mehr Angst, verdammt, also rein vom Balkon, und erstmal Panik, womit dann eindrücklich bewiesen wäre, dass fünfzig Menschen viele Menschen sind. Macht nichts. Was Aufnahmen betrifft da reichen schließlich ja auch Tonaufnahmen, da reichen ja auch Bilder, weil irgendwann reichts ja auch, irgendwann reichts dann aber auch mit den Bildern und mit dem klagenden Hintergrundgeräusch, also, was Aufnahmen betrifft, und wir sind ziemlich aufnahmefähig wenns um Ablenkung geht, um Ablenkung und um Lenkung, ja, wenn man eine Geschichte hat, das ist schon was Schönes, nicht wahr, und das reicht schließlich auch, oder nicht, das reicht ja schließlich an Geschichte, die reichen ja schließlich, also, unsere Geschichten, und was Aufnahmen betrifft reichen ja auch Sprachaufnahmen der eigenen Stimme, die von den eigenen vier Wänden majestätisch widerhallt. Schon schön.

Hallo Solidarität, sagen wir, klar, sagen wir, das unterschreib ich, sagen wir, und wir verifiziern die steile These postwendend mit unsrem Daumenabdruck, wenn ich irgendwas bin, sagen wir, dann ist das solidarisch, Daumen hoch.

COMMON GROUNDS ist eine Radioarbeit des Theaterkollektivs Freundliche Mitte, das – rund um den Musiker Bernhard Fleischmann, die Bühnenbildnerin und Künstlerin Philine Rinnert und die Autorin Gerhild Steinbuch – Initiativen, Vereine und Expert*innen unterschiedlichsten Alters und Backgrounds in einem kollektiven Arbeitszusammenhang verbindet. Freundliche Mitte beschäftigen sich in COMMON GROUNDS mit dem öffentlichen Raum und seiner Benutzung als „Grundrecht“ der Gesellschaft.

COMMON GROUNDS wurde von 13. bis 17. April 2020 auf Deutschlandfunk Kultur in der Reihe „Radiokunst im Aufnahmezustand“ im Rahmen von „Fazit“ gesendet.

Gerhild Steinbuch ist Professorin der Abteilung Sprachkunst und war im Januar 2020 mit dem Projekt Hydra: Die Zukunft des Widerstands 1 Interspeeches 6 – Das Ende der Beschwerde? zu Gast im AIL. Den Auszug aus COMMON GROUNDS hat sie uns für unseren Newsletter und Homepage zur Verfügung gestellt.