text

Im Gespräch mit Kilian Jörg

Wie in fast allen europäischen Städten besitzt in Wien nur ein gutes Drittel der Menschen ein Auto. Trotzdem sind in den meisten Gassen und Straßen der Stadt bis zu 70-80% der Flächen als Verkehrs- und Parkfläche dem Auto gewidmet.

Über Autos und Mobilität; zur Reihe Exhaust(ed) Entangelements und dem Projekt The Cars We Like

Lieber Kilian, im März wirst du den Workshop und das Symposium The Cars We Like gemeinsam mit dem Futurama.Lab um Rainer Prohaska im AIL umsetzen. Beides ist Teil der Reihe Exhaust(ed) Entanglements (EE). Was ist das für eine Reihe, was hat es damit auf sich?

KJ: Exhaust(ed) Entanglements (EE) habe ich vor knapp 2 Jahren entworfen als eine internationale Symposiumsreihe, die sich transdisziplinär mit dem Thema des Verharrens in katastrophalen Lebensweisen beschäftigt. Was meine ich damit? Mittlerweile wissen fast alle im Globalen Norden, dass ihr sogenannter Fußabdruck zu groß ist und wir mit unserem “modernen” Lebensstil eine Katastrophe globalen Ausmaßes auslösen. Dennoch ändert sich viel zu wenig und niemand hat wirklich das Gefühl, sich ändern zu können – wir scheinen festzuhängen.

Deswegen der Titel exhaust(ed) entanglements – erschöpfte – oder auch erschöpfende Verzweigungen, die wir schleunigst überkommen müssen, aber noch nicht wissen, wie. Ein Bonus im Wortwitz ist dabei, dass “exhaust” auch der Auspuff oder das Abgas ist. Da das Thema als Ganzes zu groß ist, fokussiert sich die Reihe auf das Auto im Speziellen und die Mobilität im Allgemeinen, um produktive Analysen und Antworten für dieses Jahrhundertproblem zu erarbeiten. Die erste Ausgabe von EE fand letzten Mai an der FU Berlin und in anderen Orten der Stadt statt. Weitere Ausgaben sind in London und Bogota angedacht.

Die Ausgabe von Exhaust(ed) Entanglements (EE) im AIL setze ich gemeinsam mit dem mit dem von Rainer Prohaska gegründeten Futurama.Lab um, dessen utopische Entwürfe ich sehr inspirierend finde. Nach einem eher kritisch-analytischen ersten Teil ging es mir bei der Konzeption dieser zweiten Ausgabe von EE darum, kleine Mikro-Utopien als konkret machbar darzustellen. Deswegen werden wir im Rahmen des 5-tägigen Workshops die althergebrachte Trennung zwischen Theorie und Praxis überkommen, indem wir – informiert von den Inputs des Symposiums – an konkreten Vehikeln bauen, die in experimenteller Weise den urbanen Stadtraum “hacken” können. Ich glaube es ist sehr zukunftsweisend, so Theorie und Praxis zusammen zu denken – weil wenn man rein in den Diskursen bleibt, kann man zwar die Probleme in ihrer Gänze darstellen – merkt aber nicht, wie viele Anpassungen und Umformungen der steinige Weg der Umsetzung erfordert.

Ich finde, diese Art Bauen an der Utopie ist ein wesentlicher Teil nachhaltiger “Theoriearbeit”, die sich nicht mehr von der Praxis dualistisch unterscheiden muss.

(Mehr Einblick in die vorherige Ausgabe von EE)

Aus welchem Kontext kommst du und kannst du uns den “Reiz” am Thema Auto noch weiter erläutern?

KJ: Ich bin Kilian Jörg und arbeite seit Jahren an der Schnittstelle von Theorie und Praxis, genauer: Kunst und Philosophie zum ökologischen Thema. Nachdem ich meinen PhD zu sehr “abstrakten” Themen der Öko-Philosophie verfasst habe, hatte ich das Bedürfnis diese sehr wichtigen Theorien in einem konkreten Objekt zu “landen” und damit allgemein verständlicher zu machen: dazu eignet sich das Auto wie kaum ein anderes Objekt. Denn jede*r hat eine affektiv beladene Beziehung zum Automobil, ob gewollt oder nicht. Und wenn man ein bisschen tiefer gräbt, hängt fast alles der modernen Welt auf irgendeine Art mit dem Auto zusammen: von den Kautschuk-Monokulturen für die Reifenproduktion, die heute die tropischen Zonen überziehen, über die “Heilsvisionen” des Elektro-Autos bis hin zu proto-faschistischen Männlichkeitsaufladungen, die aus der Zeit des Futurismus und Faschismus bis heute ihr Unwesen in den Diskursen und Seelen der Menschen treiben.

Mein Buch zum Thema erscheint dieses Jahr – vermutlich im Juni – beim Verlag transcript. Der Titel wird dieser Tage festgelegt. Da ich nie “nur” theoretisch arbeite, habe ich als Teil meiner Recherche auch künstlerisch und aktivistisch zum – und gegen das – Auto gearbeitet. Neben dem Projekt The Cars We Like mit Rainer Prohaska kann man z.b. auch mein Performance Projekt Diverting the Public Space nennen…

Warum ist es aus deiner Sicht so wichtig Theorie und Praxis zu vereinen?

KJ: Ich glaube, dass die Trennung zwischen Theorie und Praxis eine sehr künstliche ist, die wenig Grundlage in der Welt hat. Leider sind die meisten unserer Bildungsinstitutionen auf dieser Trennung aufbauend. Da ich eher aus der sogenannten Theorie komme, kann ich es besser von dieser Warte her beantworten: wenn man zu sehr “rein theoretisch” bleibt, kann man sich leicht auf Ansprüche verhärten, die zwar schön, gut und richtig sind, in der Anwendung aber kaum Erprobung finden können. Es gibt so eine Art Steifheit und Zögerlichkeit unter Theorie-Kolleg*innen sich zu sehr mit konkreten Versuchen zu beschäftigen, da diese strukturell fast immer zu kurz kommen und scheitern (können). Dies liebe ich u.v.A. an der Zusammenarbeit mit Rainer: Scheitern, Ausprobieren, Spaß-haben am nächsten Versuch im Wissen um seine Defizite – so etwas ist eine extrem wertvolle Tugend in einer Zeit, in der wir alle nicht wissen, womit wir aus der misslichen Lage, in die uns die moderne Konsumkultur gebracht hat, wieder rausfinden werden.

Es ist ein Wille zu und eine Freude am Ausprobieren und Experimentieren in katastrophalen Zeiten, der spaßige Öffnungen dahin bringt, wo zu viel Kalkül und Taktung herrscht.

Ob das neu ist, weiß ich nicht, da das “Neue” oftmals ein Fetischismus der neoliberalen Verkaufslogik ist. Es ist auf jeden Fall erfrischend und motivierend in einer Zeit, in der von außen und “faktisch” wenig so erscheint.

Wie eingangs angesprochen werden wir uns im März im Rahmen deines Workshops und Symposiums mit dem Thema und der Maschine Auto beschäftigen. Gib uns doch bitte einige kurze Denkanstöße und eine Einführung dazu.

KJ: Wie in fast allen europäischen Städten besitzt in Wien nur ein gutes Drittel der Menschen ein Auto. Trotzdem sind in den meisten Gassen und Straßen der Stadt bis zu 70-80% der Flächen als Verkehrs- und Parkfläche dem Auto gewidmet. Genauso sind die Ampelschaltungen und die öffentliche Förderpolitik auf eine Bevorzugung des Autos ausgerichtet. Ein Stellplatz für das Auto in der Innenstadt (ca. 12m2) ist so z.B. um vieles günstiger als ein ca. gleich großes Kinderzimmer – und das obwohl man Zimmer leichter stapeln kann als Autos.

Ein Blick in die Geschichte zeigt uns, dass dem Auto nicht von Anfang an diese bevorzugte Stellung zukam: Am Anfang der Automobilgeschichte besaßen nur ganz wenige Privilegierte ein Automobil und die Arbeiter*innen, Bäuer*innen und ärmeren Bürger*innen sahen überhaupt nicht ein, warum das Auto plötzlich so viel Platz in ihrem Lebensraum einnehmen sollte.

Ein Zitat von Otto Julius Bierbaum, eines frühen Autofetischisten, ist hier instruktiv: „Nie in meinem Leben bin ich so viel verflucht worden, wie während meiner Automobilreise im Jahre 1902. Alle deutschen Dialekte von Berlin über Dresden, Wien, München bis Bozen waren daran beteiligt und alle Mundarten des Italienischen von Trient bis Sorrent – gar nicht zu rechnen die stummen Flüche, als das sind: Fäusteschütteln, Zungerherausstrecken, die Hinterfront zeigen und anderes mehr.“* Leute spannten sogar Drahtseile über die Straßen und es kam immer wieder zu Lynchjustiz. Dieser Widerstand wurde über Generationen der vielfach gewaltvollen Einführung des Autos gebrochen.

Das Problem am Auto ist, dass es ein “Mehrheitsgefühl” produziert, auch wenn de facto so gut wie nie Autofahrer*innen die Mehrheit bilden.

Dies beginnt im Kleinen, bei Gassen wo vielleicht nur ein Auto alle 5 Minuten durchfährt, während ständig zig Fußgänger*innen mit Kinderwagen, Rädern, etc. sich durchbewegen: trotzdem bewegen sich in einer typischen Wiener Gasse die Fußgänger*innen dicht zwischen Mauern und Parkreihen. Das halten wir für normal – wie auch die alltägliche Todesgefahr, die das Auto darstellt. Dass wir heute fast instinktiv auf der Straße zur Seite gehen, wenn wir irgendwo in der Ferne einen Motoren hören, ist auch das Resultat einer Gewöhnungsgeschichte an die tagtägliche Tödlichkeit der Moderne. (Und heute macht sich diese Tödlichkeit schon langsam als Klimakrise global bemerkbar.)

Ich glaube, dass dieser mikropolitische Alltagsumstand tatsächlich große politische Effekte hat, die die oben angesprochene Lähmung angesichts der ökologischen Katastrophe erklären können.

Du hast oben die “gewaltvolle” Einführung des Autos angesprochen. Kannst du uns das näher erläutern und vielleicht gehen wir auch noch einen Schritt zurück und du gibst uns einigen Input zur Geschichte der Mobilität, die ja mit der des Autos Hand in Hand geht.

KJ: Die berühmten Autobahnpläne Deutschlands lagen schon in den 20er Jahren in den Schubladen der Weimarer Republik. Hitler ist also nicht der “Erfinder des deutschen Autobahnnetzes”, wie er teilweise dargestellt wird. Doch was Hitler und seine NSDAP geschafft haben, ist ein davor recht unpopuläres Mobilitätsparadigma so massiv durchzusetzen, dass es danach zur allgemein akzeptierten Normalität des sogenannten “Wirtschaftswunder” der BRD wurde. 1933 besaßen 0,2 % der Deutschen ein Auto. Keine demokratische Partei hätte also jemals Autobahnen gebaut. Das wäre ungefähr so, als ob heute Parteien damit werben, nun massiv Privatjetlandplätze überall auszubauen.

Doch die Pläne der Autobahnen waren ein entscheidender Wink an die Industrie und das Großbürgertum, welches so signalisiert bekam, dass ihre Privilegien nicht wirklich in Gefahr sind, auch wenn sich die Partei nationalsozialistisch nannte. Für die Interessen der Großindustrie und ihrer dadurch massiv wachsenden Absatzmärkte (sowie militärisches Kalkül für die Truppenbewegung) baute das Dritte Reich massiv Autobahnen und entwarf als komplementäres Gegenstück unter der Leitung von Ferdinand Porsche den “Kraft durch Freude”-Wagen – den Vorläufer des VW Käfer. Dadurch wurde jedem Mann verkauft, dass auch er bald für wenig Geld an diesem bürgerlichen Automobilprivileg teilhaben konnte – und seine blonde heterosexuelle Kernfamilie bald in die deutschen Lande ausfahren kann.

Das bis heute sehr toxische Amalgam aus Automobilität und Männlichkeit wurde hier entschieden geprägt.

Bis 1945 wurden übrigens nur sehr wenig KdF-Wagen fertig gestellt und der Automobilismus konnte erst im Nachkriegsdeutschland zu seiner heute bekannten Ausdehnung gelangen – von Wirtschaftswunder kann man da nur reden, wenn man einige dunkle Kapitel der deutschen Geschichte auslässt. Bis heute sind viele Gesetze, die das Auto massiv bevorzugen, wie die Stellplatzordnung, die Autobahngesetze und viele mehr, ein Erbe der NS-Zeit, welches unhinterfragt in unsere vermeintlich “liberale” Ordnung übernommen wurde. Seit dem wurde übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern wie Frankreich und Großbritannien das Schienennetz massiv vernachlässigt und rückgebaut – und man baute überall Autobahnen, um dem “Wirtschaftswunder” des eigentlich gerade besiegten Deutschlands hinterher zu hecheln.

Meine These ist, dass ohne die Epoche des Faschismus es zumindest in Europa nicht zu einer so großen – fast monokulturellen – Abhängigkeit vom Auto gekommen wäre, wie sie uns heute auf den Kopf fällt.

Gibt es auch etwas Positives über Autos sagen?

KJ: Es gibt natürlich sehr viel positives zum Auto zu sagen und wir kennen es alle, haben es (so gut wie) alle schon genossen: nach der Arbeit oder am Wochenende noch schnell in die Natur zu fahren ist geil, genauso wie bei Regen und Schnee sich in einem beheizten Käfig durch die Stadt zu bewegen – um nur zwei von x positiven Faktoren zu nennen.

Das Problem ist, dass unsere Wahrnehmung – durch Werbung und die Normalisierung des letzten Jahrhunderts – quasi darauf abgerichtet ist, nur diese positiven Aspekte zu sehen: wenn wir Abends noch schnell raus aus der Innenstadt mit dem SUV düsen, merken wir im Innenraum nicht, dass dadurch der Außenraum der Stadt immer lauter, hässlicher und gefährlicher wird – und also immer mehr Menschen strukturell dazu verführt werden, sich auch den Rückzug in ein Auto zu wünschen.

Gerade jetzt im Winter merkt man das besonders: eigentlich könnte der Winter mit seinen kurzen Tagen eine Zeit der Besonnenheit und der angenehmen Langsamkeit sein. Doch durch die grellen LED-Scheinwerfer, die einen andauernd blenden und den massiven Lärm durch die immer nassen Fahrbahnen kommt man so nicht in seiner Umwelt zu Ruhe – und will so auch mit einem Auto in eine immer fernere Ruhezone fliehen. Dass dies eine Teufelsspirale ist, sieht man so im Innenraum des Autos nicht. Ich habe das Gefühl, dass unsere Köpfe metaphorisch selten diesen Innenraum überhaupt verlassen…

Doch ich möchte hierbei noch einen Aspekt genauer ansprechen: jenen des Schutzraums. Hierbei werden wir nämlich zwei Expert*innen beim Symposium im März sprechen haben. Gretchen Sorin zeigt, dass Menschen, die im öffentlichen Raum vermehrt damit rechnen müssen, rassistischen, misogynen, trans- oder homophoben Angriffen zum Opfer zu fallen, strukturell dazu neigen, sich “dickere Autos” zu kaufen, weil diese sich sicherer anfühlen. Anhand der Geschichte des American Civil Rights Movements zeigt sie, dass für das Erkämpfen der Rechte schwarz-gelesener Personen das Auto so nicht wegzudenken war.

Markus Wissen, der auf dem The Cars We Like-Symposium mit ihr diskutieren wird, hat eine Art “SUV-These” aufgestellt, die ähnlich ist. Er argumentiert, dass Käufer*innen von SUVs nicht mehrheitlich Klimawandelleugner*innen sind (wie sie oftmals bezichtigt werden), sondern ganz im Gegenteil: die Angst vor der kommenden Katastrophe leitet bestimmte Schichten dazu an, ein dickeres und höher gelegenes Autos zu erwerben: wegen dem Sicherheitsgefühl in diesem Schutzraum. Ich denke, dass dieser hier kurz umrissene Aspekt des “Schutzraum Autos” ein zentraler ist für eine zukunftsfähige Mobilitätspoliitk.

Durch ihn lernen wir, dass ökologischer Wandel nur nachhaltig, fair und inklusiv sein kann, wenn die Forderung weniger toxische Umwelten zu schaffen, nicht nur bedeutet, dass diese weniger Schadstoffe beinhalten, sondern dass diese ebenso von weniger patriarchaler und rassistischer Gewalt geprägt sind.

Es geht also darum, nicht nur neue Autos zu entwerfen, sondern das Verhältnis zum Auto neu zu entwickeln und zu hinterfragen?

KJ: Ja genau. Aus diesem Grund auch die Exkursionen in die Frühgeschichte des Automobilismus. Ich glaube, dass die massive Verbreitung des Autos gewisse “seelische Schichten” unserer selbst verkümmern hat lassen, an denen wir heute mangeln: der sinnliche Bezug zur Umwelt, das vertrauensvolle Umherschweifen in der Nachbarschaft, der flache Austausch mit Nachbar*innen beim nahen Kreißler oder Gastwirt – all das ist durch die massive Ausbreitung des Autos massiv zurück gegangen. Genauso hat sich eine patriarchale Geschlechterordnung im Auto verfestigt, wie ich in der Geschichte des Faschismus bereits angedeutet habe. Und bis heute werden Mobilitätsforscher*innen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass eine autozentrierte Verkehrspolitik männliche “breadwinner” Modelle massiv bevorzugt und traditionell “weibliche” – mehr auf care-Arbeit fokussiere – Arbeitsmodelle benachteiligt. Dass das Auto auch einer der zentralen Fokuspunkte eines ziemlich problematischen männlichen Begehrens (welches Dominanz von Natur und Dominanz von Frauen quasi gleich setzt) ist, muss ich wohl kaum ausführen – schalte den Fernseher ein, die nächste Werbung oder das nächste Musikvideo wird dies wahrscheinlich zu genüge demonstrieren.

Die gängige Form des Autos ist also historisch gewachsen und betrifft nicht bloß Themen der “Umweltpolitik” im engeren Sinn, sondern muss auch entschieden seine patriarchalen und kolonialen Verstrickungen mitdenken, um zukunftsweisende, andere Mobiltitäts- und Lebensweisen zu fördern.

Ich finde es auffallend, dass "Mobilität" in Politik und auch vielfach Wissenschaften großteils als bloß “Gegebenes” gedacht und behandelt wird. Niemand fragt ernsthaft: warum pendeln Leute eine Stunde hin und eine Stunde her, um irgendwo acht Stunden in einem Glaskasten auf einen LCD-Bildschirm zu schauen? Warum müssen Menschen eineinhalb Tonnen Stahl bewegen, um sich ihr Abendessen zu besorgen? Das, was wir heute als “Mobilitätsbedürfnis” bezeichnen, ist vielfach dem Auto und der von ihm begünstigten Umwelt (Supermärkte statt Kreisler, Schläferstädte, monokulturelle Landwirtschaft, gigantische Lieferketten) geschuldet und wäre ohne es in dieser Form nicht entstanden.

Weiters wird die Zeit, die wir dieser Mobilität am Altar der modernen Konsumkultur opfern, als eine Art “tote Zeit” betrachtet. Niemand fordert ernsthaft, dass die Hinfahrt auch Spaß machen soll, zu einem sozial und kulturell befriedigenden Lebensstil beitragen kann und den Austausch in der Gesellschaft befördern könnte. Doch dies steht und fällt letztendlich alles mit dem Auto und seiner verkehrspolitischen Fokussierung. Als ersten Schritt könnten wir zumindest mal fordern: wenn wir schon pendeln müssen, dann lasst uns dabei doch zumindest Spaß haben – hier kommen wir langsam zu The Cars We Like...

Zum Abschluss:

Was wünschst du dir für die Zukunft?

KJ: Ich glaube, mein konkretester politischer Wunsch wäre ein Rückgewinnung politischer Selbstbestimmung über unsere Umwelt. Ich bin mir dessen bewusst, dass eine “autofreie Welt” (ob man dies nun wünscht oder nicht) von heute auf morgen weder demokratisch noch wirtschaftlich durchsetzbar wäre. Doch dies ist mir auch zu groß und abstrakt gedacht: denn es gibt mit Sicherheit etliche Gassen, Straßen, Grätzl, Bezirke und vielleicht sogar Gemeinden, die keine Lust mehr auf so viele Autos – oder überhaupt Autos im Allgemeinen – haben. Mein Lieblingsbeispiel ist hierbei der Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain – laut manchen Umfragen wünschen sich fast ⅔ der Bewohner*innen einen komplett autofreien Bezirk. Trotzdem gibt es nicht mal eine Fußgängerzone im Bezirk. Warum? Weil die StVO ein Bundesgesetz ist und von oben herab eine Werteordnung diktiert, die ursprünglich aus der Nazizeit stammt und heute von Autolobbies auch gegen jeden Widerstand weiterhin durchgeboxt wird. Mein Wunsch für die Zukunft wäre also: ermächtigt die Gassen, Straßen und Grätzl politisch so, dass sie selbst über Ihre Umwelt bestimmen können! Denn meistens wissen die, die dort wohnen, auch am besten Bescheid, was es dort braucht. Und man kommt auch leicht aus dem Dilemma eines Diktaturvorwurfs heraus, dem sich “grüne Politik” oft stellen muss: denn es kann gerne weiterhin Grätzl geben, die auf Autorennen oder weiß Gott was spezialisiert sind, wenn sich das die Anwohner*innen so wünschen. Es könnte aber genauso sein, dass die umliegenden Grätzl sich alle für ein totales Autoverbot entscheiden und dann kommen die Autos dort hin, wo sie hingehören: auf den Spielplatz!

Aus einer toxischen Normalität der Pendlerstaus könnte dann diverse Utopische Blasenwelten von spielerischer und vielfältiger Bewegung werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Image by ©

The Cars We Like:

Workshop 4. – 8. März 2024

Symposium 6. – 8. März 2024

*Wolfgang Sachs: Die Liebe zum Automobil. Reinbeck bei Hamburg: 1990 S. 23.

Das Gespräch führte Eva Weber (AIL).

Kilian Jörg war 2020 und 2022 mit dem kollektiven Projekt "Toxic Temple" im AIL. Kilian ist Alumni der Universität für angewandte Kunst Wien.

Das Projekt The Cars We Like wird unterstützt von:

Radbande
BMKOES
MA7 . Stadt Wien . Kultur
YPSOMED
Angewandte Interdisciplinary Lab (AIL)